Polyester ist nicht mehr meine Schwester

INTERVIEW: Britta Kuntoff, ILLUSTRATION: Fraukes Welt

Vom Schnuller über Filzstifte, von der Brotdose bis zu Käseverpackung, von der Schallplatte bis zu Chiffonbluse – Plastik, Plastik, Plastik. Weltweit wachsen die Müllberge mit Kunststoffresten, die bis zu 500 Jahre in Böden und Gewässern überdauern können. In den Meeren schwimmt mancherorts eine Brühe, die sechzig Mal mehr Plastikteilchen als Plankton enthält. Ein oft benutzter Baustein von Plastik, Bisphenol A, kann zu Fettleibigkeit und Diabetes führen und steht im Verdacht, schuld an mangelnder Zeugungsfähigkeit von Paaren zu sein. Phthalate, sogenannte Weichmacher, können Krebs verursachen. Im Vergleich zu den Auswirkungen unseres Umgangs mit Plastik ist Gunter von Hagens Horrokabinett aus Leichen-Plastinaten geradezu niedlich. Matthias Korn, Doktor der Literaturwissenschaften, versuchte zwei Jahre lang auf Plastik zu verzichten. Handmade Kultur sprach mit ihm.

Matthias, was war der Auslöser für dich, ein plastikfreies Leben anzustreben?

Ich habe damals den Dokumentarfilm von Ian Connacher „Plastik über alles“ gesehen. Das war ein Schock für mich. Ich bin dann mit anderen Augen durch die Welt gegangen. Im Supermarkt stand ich vor Regalen voller Plastik, und selbst die Gurke war noch in Folie eingeschweißt. Da beschloss ich, anders zu leben und kaufe seitdem nur noch im Bioladen oder auf dem Markt ein, wo ich beispielsweise Obst und Gemüse lose und unverpackt bekomme. Weil ich darauf achte, dass nur Pfandglasflaschen und Dinge, die in Papier gewickelt sind, in meinem Einkaufskorb landen, habe ich meinen Müll um drei viertel reduziert.

Käse und Wurst gibt’s dann ja nur von der Theke, oder?

Ja. Doch die Verkäuferin darf mir die Salami nicht einfach in mein Edelstahlgefäß packen, das ich dabeihabe. Das ist verboten. Die deutschen Hygienebestimmungen sind ein Grund dafür, dass immer alles so wahnsinnig aufwändig verpackt ist. Es kann natürich sein, dass man bei einem Metzger einkauft, der einen schön länger kennt, der macht das dann auch. Beim Bäcker lasse ich mir dsa Brot immer auf die Papiertüte legen und packe es dann in meinem Stoffbeutel. Ich hoffe natürlich, dass die Tüte dann noch für den nächsten Kunden verwendet wird, befürchte aber, dass nicht … Bei Fleisch ist eine Papierverpackung unpraktisch, weil es durchnässt. Die Umverpackung aus Papier und Folie ist ein Kompromiss, den ich manchmal eingehe, weil es nicht anders geht. Die Folie wandert dann zumindest in die Gelbe Tonne und das Papier ins Altpapier.

Was passiert mit den Sachen, die in der Gelben Tonne landen?

Auf jeden Fall wird keine neue Beschichtung für Lebensmittelverpackungen daraus. Es gibt unendlich viele Plastiksorten. Alle müssen mit allerhöchstem Aufwand auseinander sortiert werden. Plastik kann man nur downcyclen, das bedeutet, dass aus einer PET-Flasche nicht noch mal eine PET-Flasche werden kann. Das reicht dann nur noch für Parkbänke oder Abflussrohre. Doch ich habe eine Vision: Alles, was unbedingt in Plastik verpackt werden muss, sollte in Bioplastik – etwa aus Stärke – verpackt werden. Das kann man nämlich über die Biotonne entsorgen.

Hast du bei dir zu Hause noch Dinge aus Plastik?

Vor zwei Monaten habe ich meine Wohnung renoviert. Der Weg dahin war mit Plastik gepflastert: Im Baumarkt ist fast alles aus Kunststoff oder zumindest darin verpackt. Ich habe mein Plastikkonto total überzogen; das war eine Katastrophe für mich. Farbeimer, Lackierrollen, Pinsel – alles aus Plastik.

Klar, es gibt immer noch Plastik bei mir. Ich kann ja nicht plötzlich alles wegwerfen. Mein Computer zum Beispiel oder das Handy. Ich habe jetzt von einer Frau aus Bayern gehört, die Mäuse aus Bioplastik produzieren lässt. Das ist ein Anfang! Weil heißes Wasser das hormonähnliche Bisphanol A lösen kann, habe ich meinen alten Wasserkocher entsorgt und mir einen aus Edelstahl gekauft. In meinem Kühlschrank steht keine Tupperware, sondern Porzellan. Und ein Messer mit Holzgriff fühlt sich ohnehin besser an als einer aus Kunststoff. Außerdem achte ich darauf, dass meine Kleidung aus 100 Prozent Wolle oder Baumwolle ist.

Das hört sich alles ziemlich teuer an.

Sicher ist es teuer, im Bioladen einzukaufen anstatt im Discounter. Dafür kaufe ich aber manche Dinge auch gar nicht mehr. Und ein Kartoffelstampfer aus Stahl ist vielleicht in der Anschaffung etwas teurer, hält dafür aber ein Leben lang.

Ist es nicht enorm zeitaufwändig, plastikfreie Produkte zu finden?

Die ersten Wochen waren anstrengend, weil ich fast jedes Teil prüfen musste. Mittlerweile weiß ich aber, wo ich finde, was ich suche. Die Auswahl ist natürlich wesentlich geringer, aber für mich es eine unglaubliche Entlastung, nicht mehr dem Überangebot im Supermarkt ausgesetzt zu sein. Im Bioladen kaufe ich saisonales Gemüse und merke, dass ich mich gar nicht einschränken muss. Ich habe nämlich auch Neues für mich entdeckt: Pastinaken und Rote Beete zum Beispiel.

Für mich ist der Versuch, plastikfrei zu leben, nur der erste Schritt. Der zweite ist, Dinge selbst herzustellen. Dahin geht ja auch der Trend: Wenn man keine Nudeln ohne Plastikverpackung bekommt, dann muss man sie halt selbst machen. Und wenn es Hygieneartikel nur in Kunststoffflaschen gibt, dann findet man im Internet ’ne Menge Rezepte, wie man sie selbst anmischen kann.

Der Text erschien im Handmade Kultur Magazin Ausgabe 1/2013.

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